Balkis
Die schwarze Gazette
Ausgabe 118 vom 30.10.2008
 
Eine Geschichte
 
Nur ein Sack voll Reis...
 

 
Die schwarze Gazette: Eine Geschichte

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Nur ein Sack voll Reis...
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Die Geschichte nimmt in einer lauen mondlosen Herbstnacht ihren Lauf. Die Sachlage entwickelt sich jedoch komplizierter als erwartet und die Fäden des Schicksals verweben sich urplötzlich zu einem schier undurchdringlichen Knäuel.

Dies ist der unvollständige Versuch einer Aufarbeitung aller Fakten im Kontext zu den ominösen Ereignissen. Im Gegensatz zu unserer sonstigen unabhängigen und unparteiischen Berichterstattung ist dieser Artikel höchst tendenziös sowie explosiver und spekulativer Natur. Die etwas zart besaiteten Gemüter unserer Leserschaft werden daher gebeten diese Ausgabe zu überspringen.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und daher voll beabsichtigt.

Angefangen hat alles mit einem Sack Reis, doch dies liegt nun schon einige Tage zurück und wir befinden uns derzeit noch mitten im Geschehen...

Gegenwart, Britain Schloss:

Mit leeren Augen steht die Erzherzogin hoch oben auf der Zinne des Turmes, bekleidet nur mit einem dünnen Nachtgewand. Ihr Blick haftet irgendwo am Horizont. Von hier ist es nur ein winziger Schritt bis zur Ewigkeit. Sie seufzt tief. Ein schwarzes Pergament entgleitet ihrer schlaffen Hand und schaukelt wie ein welkes Blatt ins ungewisse Dunkel...

Gegenwart, Ratsgebäude:

Mit diabolischer Freude köpft Rätin Kristina Gilmore an der voll funktionsfähigen Spielzeugguillotine eine Milizhandpuppe nach der andern. Nebenbei überfliegt sie die übliche Bettelkorrespondenz des Volkes. Ihr Blick haftet plötzlich an einem schwarzen Pergament. Wie in Trance verrichtet sie weiter die ankonditionierte Handbewegung an der Hinrichtungsmaschine. Sie merkt nicht wie sie sich selbst die linke Hand abtrennt. Selbst als sie ihren Arm bereits in Salamischeiben zerstückelt hat, kann sie den Blick nicht von dem schwarzen Papier wenden...

Gegenwart, Pantagruel Magierakademie:

Der mächtige und jahrtausende alte Magier Allasiel sitzt im Zaubernachthemd und mit Zauberzipfelmütze in seiner Kemenade und sortiert seine Briefe. Als er den Inhalt eines schwarzen Briefes liest, muss er vor Schreck so heftig niesen, dass ihm ein gewaltiger Feuerball um die Ohren fliegt. Als sich der Rauch legt, könnte nur ein Experte und naher Freund an der völlig verkohlten und haarlosen Birne des Magiers erkennen, dass dieser schlagartig um 50 Jahre gealtert ist. Die wimpernlosen Augen immer noch fassungslos auf den Aschenfetzen in seiner Hand gerichtet...

Gegenwart, Gardekastell:

Der in Würde ergraute Gardeoberst Manfred von Seym liest soeben den Inhalt eines schwarzen Briefes als sich urplötzlich seine Gesichtsfarbe seinem Haar angleicht. Doch Manfred von Seym wird nicht nur einfach grau, nein er wird dermaßen unbunt und steif, dass ein übereifriger Diener den Erstarrten auf ein Podest stellt und anfängt ihn abzustauben...

***

Nehmen wir nun die Fäden des Schicksals in die Hand und verfolgen sie zurück in die Vergangenheit zu ihrem Ursprung. Das Schicksal führt uns an die Ufer der südwestlichen Gendelbucht in einen Lagerraum gefüllt mit Reissäcken. Und eben an einem solchen endet unsere Suche.

Doch - Oh Schreck, Oh Graus - haben wir zu fest an den Fäden gezogen? Haben wir das Schicksal herausgefordert? Wie auch immer. Es geschieht etwas, dass nie hätte geschehen dürfen:

Ein Sack Reis fällt um...

Vergangenheit, Gendelbucht vor vier Tagen:

Ohne jeglichen kausalen Zusammenhang gerät ein Sack Reis aus seinem natürlichen Gleichgewicht und fällt geschmeidig und sachte zu Boden. Die daraus entstehende mikroskopisch kleine Schockwelle durchwandert den Kontinent in westlicher Richtung.

Die Welle prallt an das gewaltige Massiv des Lindwurmgebirges und verlässt es aufgrund der höheren Dichte mit erhöhter Geschwindigkeit auf der anderen Seite Richtung Rabenhain. Dort verursacht sie eine unendlich kleine Bodenunebenheit just in jenem Moment als ein Blatt Papier in eine Buchstabenpresse geschoben wird. Die Maschine verklemmt und der Papierstau ist erfunden.

Etwa eine halbe Stunde später erreicht die Welle Schattenwinkel. Mit letzter Kraft prallt sie an einen Baum, erschüttert diesen auf subalchimistischer Ebene und motiviert so einen Schmetterling sich einen neuen Platz zu suchen. Und das kleine farbige Insekt setzt sich ausgerechnet auf Pauls *) Nase.

*) Name von der Red. geändert.

Paul, eben noch gemütlich unter dem Baum schlafend, betrachtet schielend den farbenfrohen Falter. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Er nimmt seine pinkfarbene Farbdose, seinen pinkfarbenen Pinsel und wandert mit rosarotem Gemüt, lockerem Gang und hüpfenden Zwischenschritt in die Welt hinaus...

Vergangenheit, Gendelbucht vor drei Tagen:

Als S. am Morgen müde und gähnend aus dem Fenster auf das Gildegelände blickt, verrenkt er sich vor Schreck so heftig den Kiefer, das er jederzeit als Zombie durchgehen würde. In seinen vor Entsetzen geweiteten Augen spiegeln sich vier rosafarbene Fahnenbanner. Unaussprechliche Worte entweichen seiner kieferverenkten Kehle.

Panisch jagt er zur Tür hinaus und stolpert dabei über eine riesige pinkfarbene Plüschfigur. Als er mit dem Kinn zuerst im Gras aufschlägt, renkt sich sein Kiefer wieder ein. Noch im Aufstehend fällt sein Blick auf die beiden gefesselten Wachen Yuri und Yussuf, eingehüllt in pinkfarbene Narrengewänder.

Rasend vor Zorn sticht er den beiden Versagern seinen Dolch ins Herz, bricht ihnen das Genick und hält ihnen dann so lange die Nase zu bis sie qualvoll ersticken. Alsdann eilt er zurück ins Haupthaus und verfasst auf tiefschwarzen Papier mit blutroter Tinte 666 Briefe. Diese steckt er in echt schwarze Umschläge und versiegelt selbige mit extrem dunkelrotem Wachs. Als der Postbote vorbeikommt, packt er diesen mit einer Hand so kräftig am Hals, dass dessen Augen wie Bälle hervor quellen. Mit kurzen scharfen Worten bellt er den Jungen an diese seine Briefe zuerst und sofortigst zuzustellen. Andernfalls wäre sein Leben 1000mal verwirkt.

So fanden die geheimnisvollen Briefe zuverlässig all ihre 666 Empfänger:

***

An die Welt da draußen!

Liefert uns umgehend Paul, den rosaroten Pinsler, aus!

Wird dieser Forderung binnen Tagesfrist nicht vollständigst nachgekommen,
werden unsere Pfeile so zahlreich sein, dass sich der Himmel schwarz färbt
und die Krähen zu Fuß gehen müssen...


***

Gegenwart

Die daraufhin ausbrechende Panik ist unvorstellbar. Viele verlassen fluchtartig das Land. Tausende stürzen sich ins Meer um so wenigstens einen schnellen schmerzlosen Tod zu erfahren. Verzweifelt, ja geradezu fanatisch wird der Schuldige gesucht um ihn erbarmungslos auszuliefern. Wer auch nur ansatzweise pinkfarbene Unterwäsche trägt wird auf offener Straße erschlagen oder verbrannt.

Paul indes', nicht wissend dass die ganze Welt nach ihm fandet, hat bereits sein nächstes Projekt ins Auge gefasst. Mit lockerem Gang, hüpfenden Zwischenschritt und den Farbeimer lässig schwingend, wandelt er seines Weges. Die Warnung auf dem Schild "Zur Drowstadt, Lebensgefahr!" kümmert ihn dabei nicht. Fröhlich singt er eine altbekannte Melodie:

"...denn Du bist, wir kennen Dich,
doch nur Farb' und Pinselstrich."

...und während in einer unterirdischen Stadt eine Wand beginnt sich pink zu färben, fallen in in einem Lagerraum ganz in der Nähe ohne kausales Ereignis 13 Sack Reis um...

Schluss mit dem Schwarz/Weiß denken!
Nieder mit unbunt, es lebe die Farbe!


gez. Die Untergrundbewegung
"Freiheit für Britain"



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30.10.2008 - 13:41Kontakt: redaktion@die-schwarze-gazette.de
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